30.03.2023

Unfall oder Krankheit?

Aus rechtlicher Sicht ist längst nicht jedes Ereignis ein Unfall, das wir im Alltag als solchen bezeichnen. Wir erklären, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit die Unfallversicherung UVG aktiv wird.

Stellen Sie sich vor: Sie geniessen Sommerferien am Meer. Am ersten Morgen am Strand gehen Sie beim Aufstellen des Sonnenschirms in die Knie. Und dann geschieht es: Sie verspüren einen heftigen Schmerz im Rücken. So heftig, dass Sie zum Arzt gehen. Für Sie steht fest, dass Sie einen Unfall hatten. Deshalb bitten Sie den Arzt, die Rechnung an Ihre obligatorische Unfallversicherung UVG zu schicken. Später erfahren Sie dann, dass Sie aus rechtlicher Sicht nicht verunfallt, sondern erkrankt sind – und dass deshalb Ihre Krankenkasse zuständig ist. Sie fragen sich, weshalb das so ist. Dieser Frage gehen wir nun auf den Grund.

  1. Wie das Gesetz einen Unfall definiert

  2. Die Unfallkriterien unter der Lupe

  3. Wehalb ist die rechtliche Unfalldefinition für Sie relevant?

  1. Wie das Gesetz einen Unfall definiert

    Das oben geschilderte Beispiel zeigt: Was wir im Alltag als Unfall bezeichnen, ist es aus rechtlicher Sicht manchmal gar nicht. Damit ein Ereignis rechtlich als Unfall gilt, müssen gemäss Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) gleich mehrere Kriterien erfüllt sein. So definiert das ATSG einen Unfall als «plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.» Die Unfallversicherung erbringt nur dann Leistungen, wenn ein Ereignis dieser gesetzlich vorgegebenen Unfalldefinition entspricht. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich gemäss ASTG um eine Krankheit.

  2. Die Unfallkriterien unter der Lupe

    Einige der genannten rechtlichen Kriterien sind einfach nachvollziehbar. So ist es einleuchtend, dass wir nur von einem Unfall sprechen können, wenn es keine Absicht sich zu verletzen. Sobald die versicherte Person beschlossen hat, sich selbst eine Verletzung zuzufügen, oder wenn sie eine Handlung begeht, bei der sie davon ausgehen musste, dass sie sich verletzen würde (z. B. Faustschlag gegen eine Wand oder ein Fenster), haben wir es aus rechtlicher Sicht mit keinem Unfall zu tun. .

    Und wie steht es mit den anderen Unfallkriterien? Was heisst «plötzliche Einwirkung»? Und was ist mit «ungewöhnlichem äusserem Faktor» gemeint? Wir haben diese Frage Alexandre Panchaud gestellt, Leiter der UVG-Abteilung von HOTELA.

     

    • Alexandre, ein Unfall muss gemäss Gesetz «plötzlich» ausgelöst sein. Was ist damit gemeint?

    Damit ein Ereignis rechtlich als Unfall gilt, muss es nicht nur unbeabsichtigt, sondern auch plötzlich – das heisst innerhalb eines kurzen Zeitraums – eintreten. Das ist zum Beispiel bei einem Sturz oder einem Zusammenstoss der Fall. Eine Gehörschädigung nach einer langen Disco-Nacht oder eine verletzte Zehe nach einer Wanderung in zu engen Schuhen können dagegen nicht als Unfälle geltend gemacht werden.»

     

    • Und weshalb nennt das Gesetz den «äusseren Faktor» als wichtiges Merkmal für einen Unfall?

    Für einen Unfall braucht es die Einwirkung von aussen. Diese kann durch einen festen Gegenstand (zum Beispiel ein Werkzeug), eine Flüssigkeit (zum Beispiel heisses Wasser) oder eine chemische Substanz (zum Beispiel ein ätzendes Reinigungsmittel) erfolgen. Wirkt sich aber ein Vorgang im Inneren unseres Körpers schädigend auf unsere Gesundheit aus, handelt es sich um eine Krankheit. So ist etwa ein Schlaganfall kein Unfall, da seine Ursache im Inneren des Körpers liegt.»

     

    • Das Gesetz geht aber noch weiter: Der äussere Faktor muss auch noch «ungewöhnlich» sein. Weshalb?

    Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alltägliche Körperbewegungen zu keinen Verletzungen führen. Deshalb gelten Gesundheitsprobleme, die von einer üblichen Tätigkeit, Handlung oder Geste ausgelöst sind, als Krankheit und nicht als Unfall. Nur wenn die Handlung nicht normal verläuft, weil sie durch ein aussergewöhnliches Ereignis gestört wird (z. B. Ausrutschen, Schlag, Zusammenstoss), wird ein Unfall anerkannt.

     

    • Greifen diese Kriterien immer? Oder gibt es auch Ausnahmen?

    Es gibt einige wenige Spezialfälle: Eine Reihe von spezifischen Verletzungen gelten auch dann als Unfälle, wenn sie nicht dem Kriterium des ungewöhnlichen äusseren Faktors genügen. Dazu gehören insbesondere Brüche, Zerrungen und Muskelrisse sowie Verrenkungen von Gelenken und Sehnenrisse. Wenn zum Beispiel eine Sportlerin auf ihrer Joggingtour einen Muskelriss erleidet, gilt dies als Unfall – und zwar auch dann, wenn keine ungewöhnlichen äusseren Faktoren (Ausrutschen, Stolpern etc.) zur Verletzung führten.

  3. Weshalb ist die rechtliche Unfalldefinition für Sie relevant?

    Die Unterscheidung zwischen Unfall und Krankheit ist vor allem aus einem Grund wichtig: Die rechtliche Definition entscheidet, ob die Unfallversicherung UVG oder die Krankenkasse nach KVG im vorliegenden Fall zuständig ist. Und je nach Antwort ist die Versicherungsdeckung nicht identisch, etwa in Bezug auf die Rückerstattung der Behandlungskosten oder die Übernahme des Lohnausfalls.

    Und weshalb war nun das eingangs geschilderte Beispiel ein Fall für die Krankenversicherung? Alexandre Panchaud: «Im geschilderten Beispiel ist das Kriterium der «Ungewöhnlichkeit» nicht erfüllt. Die Rückenschmerzen entstanden beim Hinknien – und waren damit die Folge einer alltäglichen Körperbewegung. Anders wäre es gewesen, wenn es zu einem Sturz – und damit zu einem aussergewöhnlichen Umstand – gekommen wäre.» Ja, das Gesetz kann manchmal ganz schön knifflig sein!

Haben Sie Fragen zum Unfallbegriff oder zu den Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung und der Unfallzusatzversicherung? Das Beraterteam der HOTELA gibt gerne Auskunft.